Zurück in die Zukunft
Er kann aber noch sehr viel mehr als Grünen Veltliner und Riesling – und genau das will er auch. Begegnung mit einem, der gern mit offenem Visier fährt.
Nach Hagenbrunn, nur einen Steinwurf von der nördlichen Wiener Stadtgrenze entfernt, treibt es den genussaffinen Stadtflüchtigen zumeist von Stammersdorf aus zu Fuß und mit klarem Ziel: sich bei einem der Heurigen ebendort über Bratl oder Backhendl gebeugt gemütlich mit Grünem Veltliner anzudüdeln und abends mit ein oder zwei Ab-Hof-Flascherln im Rucksack über die Gamshöhe wieder zurück nach Stammersdorf zu spazieren. Mittlerweile treibt es aber vermehrt nicht nur Ausflügler, sondern auch ausgewiesene Weinaficionados mit Hang zum Außergewöhnlichen nach Hagenbrunn. Manchmal auch zum Heurigen, den Stefan Gilgs Familie dort immer noch betreibt, öfter aber noch zu einem puristischen Bau des renommierten Architekten Thomas Tauber an der Adresse Hauptstraße 64–66. Dort befindet sich seit 2017 nämlich das Weingut von Stefan Gilg.
„Für ein Achterl zum Kosten ist es ja noch fast zu früh“, scherzt der 31-Jährige zur Begrüßung im Verkostungsraum. „Ich zeig euch erst einmal den Keller und was da so liegt, wenn ihr wollt?“ Wollen wir. Unbedingt.
Weinviertel neu gedacht
„Der Grüne Veltliner ist natürlich immer noch unser wichtigster Wein“, sagt Gilg auf dem Weg in den Keller. „Aber das Weinviertel, vor allem unsere supertrockene Region hier ganz im Süden mit ihren kargen Flyschgesteins- und Sandböden, kann so viel mehr als nur Weinviertel DAC.“ In den insgesamt auf 22 Parzellen in Hagenbrunn, Stetten und am Bisamberg aufgeteilten Weingärten Gilgs finden deshalb auch Sorten Platz, die man heutzutage nicht unbedingt hier verortet. Darunter Merlot, Cabernet Sauvignon und Zweigelt, die hier, wie Gilg erklärt, immer schon einen gewissen Stellenwert hatten und dank des pannonischen Einflusses und der Böden auch prächtig gedeihen. Weil der Mann aber eine wirklich ausgeprägte Leidenschaft für den Blick über den typischen Weinviertler Glasrand pflegt, hat er sich unter anderem auch eines Südsteiermark-Klassikers angenommen: Gelbem Muskateller.
„Mein Vater hat schon 1993 den ersten Muskateller im Weinviertel ausgesetzt“, erzählt Gilg. „Damals hat jeder gesagt: Das funktioniert hier nicht. Aber es funktioniert bestens.“ Weil die Rebstöcke auf sehr alten Anlagen mit sandigen Böden stehen, die Trauben voll ausreifen und Gilg die Maischestandszeit so ausgedehnt hat, dass am Ende ein ausbalancierter, trinkfreudiger und gleichzeitig hoch eleganter Sortenvertreter in die Flasche kommt. „Ein Muskateller sollte schmecken, wie er riecht“, findet Gilg. „So eine Flavor-Bombe, die in der Nase überbordend aromatisch daherkommt, aber am Gaumen nur noch Wasser ist … Damit kann ich überhaupt nichts anfangen.“
Die, wenn man so will, noch -größere „Spinnerei“ von Stefan Gilg ist der -Traminer. Bevor die Reblaus den Weinbau in der -Region maßgeblich veränderte, eine der Hauptsorten im Weinviertel, ist er heute eine absolute Rarität. Die Gilg, der dem Charakter der Sorte bei einem Praktikum bei Emmerich Knoll in der Wachau verfiel, mit Hingabe pflegt. „Obwohl sie so wahnsinnig empfindlich ist, extrem anfällig für Botrytis, und die Erträge sind ehrlich gesagt auch eine Katastrophe“, sagt Gilg. Dennoch setzte er 2014 erstmals den im Vergleich zum Roten Traminer mit exotischeren Noten und einer Spur mehr Säure ausgestatteten Gelben Traminer aus, und holte 2021 prompt den Salon-Bundessieg.
Klare Prinzipien
Nicht nur bei den Rebsorten geht Stefan Gilg seinen eigenen Weg. Auch im Keller zeigt er eine kompromisslose Haltung. „Bei den Weißweinen stehen für mich Klarheit, Sortentypizität und Trinkfluss im Vordergrund“, sagt Gilg. „Ich möchte grundsätzlich keine überladenen Weine machen, sondern solche, von denen man gerne ein zweites Glas trinkt.“ Holz kommt deshalb bei den Weißweinen gezielt zum Einsatz. Im Holzfasskeller von Stefan Gilg liegen nur die Weinviertel DAC Reserve und ein kleiner Teil Riesling.
Die Rotweine hingegen werden alle im Holzfass ausgebaut, Zweigelt im großen Holzfass, die Reserven bis zu zwei Jahre im Barrique. Die Eichenfässer lässt Gilg direkt aus Frankreich importieren, weil er der Überzeugung ist, dass ein französischer Fassbinder sein bestes Holz wohl eher nicht an einen -österreichischen Fassbinder weitergeben wird. „Bei den Fässern kommt es, finde ich, sehr aufs Detail an, auf die Maserung etwa. Je feiner die Maserung, desto weniger Sauerstoffaustausch, desto langsamer die Reife und desto eleganter der Wein.“
Für Gilg ist Weinmachen ein Prozess, in dem Natur und Kultur eine gleichermaßen wichtige Rolle spielen. „Man muss sich natürlich auf das einlassen, was der Wein vorgibt, die Basis muss stimmen“, sagt Gilg. „Die Qualität bei uns entsteht im Weingarten, aber kultiviert wird sie im Keller.“
Wandel ohne Weh und Aber
Low-Intervention-Weine oder eine Umstellung des Betriebs auf biologischen oder biodynamischen Anbau seien für ihn keine Themen. Naturnahen Weinbau sieht er aber als selbstverständlich an. Angesprochen auf die klimatischen Veränderungen, die ja auch vor Hagenbrunn nicht haltmachen und vor allem dem Grünen Veltliner zusetzen, vertritt Gilg die Position: anpassen, nicht jammern. „Wir sind hier in einer der heißesten und trockensten Regionen des Weinviertels, es wird zukünftig auch sicher nicht kühler, und darauf muss man sich halt einstellen“, betont er. Das Laubwandmanagement verändern, bei Neuanlagen genauer darauf achten, welche Sorten man aussetzt, mehr alte Sorten wie Roten Veltliner kultivieren, die hitze- und trockenresistenter sind, und nicht bewässern, sondern die Reben von Beginn an Trockenstress aussetzen.
Zurück zu ebener Erd im Verkostungsraum ist es dann doch Zeit für ein Achterl, findet Stefan Gilg. Die Wahl fällt auf Muskateller – in der Nase feine Holunderblüte und Limette, am Gaumen straff, wunderbar fruchtig im Finish. Würde einem nicht die grelle Vormittagssonne, die durch die Glasfront fällt, das Wasser in die Augen treiben: Der Muskateller hätte jedenfalls auch das Zeug dazu – vor Glück.
„Bei den Weißweinen stehen für mich Klarheit, Sortentypizität und Trinkfluss im Vordergrund. -Weine, von denen man gern ein zweites Glas trinkt.“
Stefan Gilg